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Frederic Vester
Frederic Vester, Prof. Dr.rer.nat. Dr.h.c.

 

 

Kurzbiographie Frederic Vester

Geboren am 23. November 1925 in Saarbrücken.
Gestorben am 2. November 2003 in München.
Seit 1950 verheiratet mit Anne Vester. Drei Kinder, sechs Enkel.

Studium der Chemie an den Universitäten Mainz und Paris. Promotion an der Universität Hamburg im Fach Biochemie. Von 1953 bis 1970 Forschungstätigkeiten an der Yale University, der Universität des Saarlandes und am Max-Planck-Institut für Eiweiß- und Lederforschung. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen auf den Gebieten Molekularbiologie, Krebsforschung, Biophysik und Forschungsplanung. Mehrere Patente über tumorhemmende Pflanzenproteine.

1970 Ausscheiden aus der etablierten Forschung und Gründung seiner privatwirtschaftlichen Firma Studiengruppe für Biologie und Umwelt Frederic Vester GmbH mit den Schwerpunkten Beratung, Entwicklung und Information in München, deren alleiniger geschäftsführender Gesellschafter er seither war und die er zusammen mit seiner Frau Anne aufbaute. Nach seinem Tod wurde die Gesellschaft unter dem Firmennamen frederic vester GmbH von Anne Vester weitergeführt, die 2006 alle Rechte an Fredmund Malik, Malik Management zur Weiterführung übertrug.

Frederic Vester entwickelte mit seiner Studiengruppe für Biologie und Umwelt über viele Stufen das kybernetische Umweltsimulationsspiel Ökolopoly® sowie dessen multimediale CD-ROM Version "ecopolicy®. Mit seinem computerisierten "Sensitivitätsmodell Prof.Vester®", ebenfalls in laufender Fortentwicklung im Feedback mit der Praxis stellte er für Wirtschaft, Ausbildung und Politik ein ganzheitliches Werkzeug zur Verfügung, für komplexe Fragestellungen neue und nachhaltige Lösungen auf der Basis des Systemverständnisses zu entwickeln.

Frederic Vester war Mitglied des Club of Rome. Sein Buch "Die Kunst, vernetzt zu denken. Werkzeuge und Ideen für den Umgang mit Komplexität" wurde 2002 als Bericht an den Club of Rome veröffentlicht. Die englische Version erschien 2012 unter dem Titel: The Art of Interconnected Thinking".

Frederic Vester gilt als einer der Vordenker der Umweltbewegung. Als einer der ersten sah er die Folgen unseres planlosen Draufloswirtschaftens ohne Berücksichtigung der Vernetzungen und der in der Natur herrschenden Gesetzmäßigkeiten. So prägte er den inzwischen in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommenen Begriff "Vernetzten Denkens", eines Denkens in Kreisläufen, mit dem er den Unterschied zum "linearen", also dem Denken in Zusammenhängen ausdrücken wollte. All seine Aktivitäten und Veröffentlichungen kreisten um dieses Thema, das für ihn der Angelpunkt für das Überleben der Menschheit war. Anfänglich kaum ernst genommen, hat er sich im Laufe der Jahre durch seine unemotionale, fundierte Darstellungsweise Respekt und Anerkennung verschafft. Die Tatsache, dass er nie auf öffentliche Zuschüsse in welcher Form auch immer zurückgriff, gab ihm die Möglichkeit, auch heiße Eisen anzufassen. Sei es das Thema Krebsforschung, Kernenergie (er war z.B. der einzige Wissenschaftler, der sofort nach Tschernobyl die Wahrheit über die Strahlenbelastung beschrieb), Verkehrs-, Gesundheits- und Entwicklungspolitik, Architektur, Landwirtschaft und Landespflege, Wirtschaft und Management.

Eine Reflektion der Themen Vesters bietet die folgende Würdigung Vesters durch Prof.Dr.Thomas Göllinger.

Würdigung von Frederic Vester anlässlich seines 10. Todestages am 02.11.2013:
von Prof. Dr. Thomas Göllinger / Freiburg und Konstanz

Frederic Vester (1925 - 2003): Vordenker, Impulsgeber und Wegbereiter
des Vernetzten Denkens und einer ökologisch-nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise

In diesen Tagen jährt sich der 10. Todestag von Frederic Vester. Aus diesem Anlass möchte dieser Artikel an Frederic Vester erinnern, seine wesentlichen Leistungen und Wirkungen würdigen sowie einen Ausblick auf sein Vermächtnis geben. Vester war ein Großer des 20. Jahrhunderts, dessen Wirkung und Vermächtnis weit ins 21. Jahrhundert reichen. Er war Systemdenker, Bio- und Management-Kybernetiker, Forscher und Berater sowie Buch- und Filmautor. Kurz: ein systemischer Genius und Grenzüberschreiter.

Zurecht kann Frederic Vester als Pionier, Förderer und großer Lehrer des „Vernetzten Denkens“ bezeichnet werden. Hervorzuheben ist hierbei insbesondere die Entwicklung und breitere Anwendung einer universellen Problemlösungsmethodik unter der inzwischen in der Szene zum Markenamen etablierten Bezeichnung „Sensitivitätsmodell“. Bereits in die Konzeption und Entwicklung eines gleichnamigen Softwareproduktes hat Vester seine lernbiologischen Erkenntnisse und Erfahrungen einfließen lassen. In „Die Kunst vernetzt zu denken“ hat er die Essenz seines systemischen Denkens dargelegt. Dieses Buch wurde auch vom Club of Rome, dessen Mitglied Vester war, als „Bericht an den Club of Rome“ herausgegeben.

Neben seinen Arbeiten zum systemischen Denken standen auch sehr stark ökologisch-ökonomische Fragestellungen im Zentrum seiner Aktivitäten. Vester war ein wichtiger Pionier der Ökologischen Ökonomie mit großen Verdiensten um die „Ökologisierung des Wirtschaftens“, insbesondere die vernetzten Zusammenhänge zwischen all diesen Themenfeldern wurden von ihm stets betont. Viele Anregungen, Ideen und Entwicklungen in den unterschiedlichsten Bereichen gehen auf ihn zurück; Seine letzten Arbeiten widmeten sich den Ursachen und Problemen des Klimawandels (posthum als CD-ROM mit dem Titel „Zeitbombe Klimawandel“ veröffentlicht). In der aktuellen Situation, gekennzeichnet durch zahlreiche miteinander verwobene Krisen, ist kaum etwas notwendiger als eine wissenschaftliche und systemorientierte Problembearbeitung im Geiste Vesters.

Ein Blick auf Vesters beruflichen Werdegang dokumentiert seine Universalität: Studierter und diplomierter Chemiker, promovierter und habilitierter Biochemiker, Professor für Krebs-Forschung, selbstständiger Wissenschaftler und Berater, Professor für die „Interdependenz von technischem und sozialem Wandel“ an der Bundeswehrhochschule München sowie Gastprofessor für Systemisches Management an der damaligen Hochschule St. Gallen.

Vester wandelte zwischen (interdisziplinär) und über (transdisziplinär) den Disziplinen. An zahlreichen Beispielen vermochte er in seinen Artikeln, Büchern und Filmen die Unzulänglichkeiten einer disziplinären und unvernetzten Sichtweise von komplexen Problemen überzeugend darzustellen. Durch seine populärwissenschaftlichen Bücher und Filme erreichten seine vernetzte Denkweise und seine Themen ein breiteres Publikum und trugen somit zur Aufklärung über viele Menschheitsprobleme bei. Es ist immer wieder beeindruckend, wie viele ältere Zeitgenossen man trifft, die leuchtende Augen bekommen, wenn bei der Diskussion aktueller Probleme  und systemischer Lösungsansätze - zwangsläufig - auch sein Name fällt. Zahlreiche Wissenschaftler, Unternehmer, Manager, Politiker, Lehrer und Umweltaktivisten wurden von Vester inspiriert und dadurch zu neuen Ideen sowie zum Überdenken tradierter Denk- und Handlungsroutinen angeregt. Seine interdisziplinäre und vernetzte Sichtweise ermöglichte es ihm auch die für seine Themen relevanten Ideen, Ansätze und Vorarbeiten anderer Protagonisten aufzugreifen und in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Auch hierin ist ein großer Verdienst zu sehen.

Die übliche disziplinäre Organisation der Wissenschaften und Hochschulen empfand er als dysfunktional und nicht nur für ungeeignet zum Verständnis vernetzter Systeme, sondern gar als mitverantwortlich für einige krisenhafte Erscheinungen der letzten Jahrzehnte. So war es nur konsequent, dass er 1970 mit der Gründung der „Studiengruppe für Biologie und Umwelt“ (sbu) dem tradierten Wissenschaftssystem den Rücken kehrte und seine eigenen Wege ging, systemisch-vernetzt und interdisziplinär. Von Anfang an unterstützt wurde er dabei von seiner Frau Anne Vester. Mit einem kleinen aber feinen Team arbeitete er in seinem Stadtbüro in der Münchner Nussbaumstrasse an der Lösung von Weltproblemen und Zukunftsentwürfen für zahlreiche Themenbereiche, Branchen und Auftraggeber. Erst sein viel zu früher Tod vor zehn Jahren setzte diesem erfolgreichen Wirken ein Ende.

Hoffnung gibt uns jedoch, dass nicht nur viele Vester-Schüler in Wissenschaft, Politik, Management und Zivilgesellschaft den Keim seiner Ideen in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich weitertragen, sondern auch dass seine langjährige enge Mitarbeiterin, Projektverantwortliche und rechte Hand bei der Entwicklung von Methodik und Software des Sensitivitätsmodells, Gabriele Harrer, seine Arbeit weiterführt. Für den Bereich Management und Regionalentwicklung erfolgt seither eine weitgehende Integration und Anwendung der Vester-Ansätze im Rahmen der Managementberatung und Ausbildung von Malik Management Zentrum AG im schweizerischen St. Gallen, das alle Rechte und Werke Vesters übernommen hat.

Das bis heute faszinierende an Vester ist seine Befruchtung zahlreicher Einzelwissenschaften sowie insbesondere inter- und transdisziplinärer Diskurse. Vester lebte und verkörperte Transdisziplinarität sowohl bezüglich der Hinwendung wissenschaftlichen Erkenntnisstrebens zu lebensweltlichen Problemen als auch hinsichtlich der Überschreitung enger fachdisziplinärer Grenzen. Er erkannte bereits früh, dass die zwar notwendige Spezialisierung und Arbeitsteilung der Wissenschaften spiegelbildlich immer mehr zu dysfunktionalen Lösungsansätzen führte. In der isolierten, unvernetzten Sichtweise sah er die eigentliche Ursache für zahlreiche krisenhafte Entwicklungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Natur. Vester würde sicher vorschlagen, dass bei den PISA-Tests für Kinder, Jugendliche u. Erwachsene auch Kenntnisse über Systemzusammenhänge mit aufzunehmen sind.

Das Kernproblem des Organisierens, neben der Analyse und Fragmentierung mit Blick auf die Gestaltungsaufgabe und die qualifizierte Lösung konkreter Problemstellungen eine entsprechende komplexitätsgerechte Integration und Synthese zu leisten, erkannte er für die Organisation des Wissenschaftssystems, forderte diese Integration ein und beteiligte sich selbst mit entscheidenden Beiträgen daran. Nie ging es ihm um eine Verdammung disziplinärer Forschung, vielmehr klagte er deren Ergänzung und Reflexion um eine vernetzte und systemische Sicht ein, für ihn waren dies zwei Seiten einer Medaille. Nicht hoch genug einzuschätzen sind sowohl seine Weitsicht als auch sein Mut zu inter- und transdisziplinärer Arbeit. Vester brauchte keine langatmigen und ängstlichen Diskussionszirkel zum Für und Wider inter- und transdisziplinärer Arbeit; er machte es einfach und verkörpert so bis heute Transdisziplinarität par excellence.

Bei einer solchen direkten und indirekten Kritik am herkömmlichen Wissenschaftssystem konnte dessen Gegenkritik nicht lange ausbleiben. So wurde Vester wegen seiner populärwissenschaftlichen und interdisziplinären Arbeiten teils heftig kritisiert. Einige Kritiker gingen sogar soweit, dass sie ihm die Wissenschaftlichkeit generell absprechen wollten. Vor dem Hintergrund der faktischen Problemlagen lief und läuft diese Kritik jedoch weitgehend ins Leere. Denn gerade die Entwicklung einer integrierenden Sichtweise, der es auf den systemischen Zusammenhang der Dinge und nicht so sehr auf den isolierten Einzelaspekt ankommt, kann dabei nicht alle Differenzierungen der Einzeldisziplinen berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, als dass sich vor dem Hintergrund teils absurder Engführungen einige Disziplinen durch ihre autistische Abschottung gegenüber anderen Disziplinen und Einflüssen jeder Problemlösungsrelevanz selbst berauben. In besonderem Maße gilt dies z.B. für die neoklassische Mainstream-Ökonomik.

Legionen von wohlbestallten Wissenschaftlern, großteils mit einer soliden Grundfinanzierung  versehen, vermochten nicht annähernd zu leisten, was er mit seinem Team aus eigener Kraft auf die Beine stellte. Gemessen an der tatsächlichen Problemlösungsrelevanz und der potentiellen Wirkmächtigkeit der jeweils entwickelten Konzepte, Methoden und Instrumente überragen die Arbeiten Vesters viele Mainstream-Protagonisten. Sie alle können ihm, der sich aus eigenem Antrieb und auf eigenes wirtschaftliches Risiko mit Leidenschaft und Kraft den vielfältigen Herausforderungen einer zukunftsorientierten Wirtschafts- und Lebensweise widmete, nicht das Wasser reichen.

Was von vielen erst nach dem tatsächlichen Eintreten von Katastrophen und Problemen (z.B. Kernenergie, Lebensmittelskandale, Verkehrsinfarkt), unter Verursachung hoher Schadenskosten, mühsam gelernt werden musste, hätte man unter Heranziehung seiner Expertise bereits weit früher wissen oder zumindest erahnen können. Eine rechtzeitige Umsteuerung hätte dann manch hohe Folgekosten vermeiden und somit die Lernkosten eines Pfadwechsels entscheidend verringern können.

Das aktuelle Eingeständnis von einschlägigen wissenschaftlichen Kommissionen, dass die übliche disziplinäre Organisation von Hochschulen dem notwendigen systemischen und vernetzten Problemverständnis zu wider läuft, das etwa in der Nachhaltigkeitsfrage besonders erforderlich wäre, bedeutet eine weitere späte Anerkennung von Vester, der genau dies bereits vor über 40 Jahren in voller Tragweite begriff und propagierte sowie durch sein vorbildliches Handeln ein leuchtendes Beispiel setzte.

Immer noch gibt es im Wissenschaftssystem zu wenig Spielraum für fachübergreifendes Arbeiten. Schon immer wurden die Bemühungen um eine erweiterte Sichtweise in erster Linie von einem nichtwissenschaftlichen Publikum bzw. von Wissenschaftlern goutiert, die um die Begrenzung einer disziplinären Sichtweise wissen. Um so mehr sind deshalb Vesters Verdienste um eine ganzheitliche Perspektive anzuerkennen. 

Dies schließt nicht aus, dass die zunächst einer ganzheitlichen Sichtweise geschuldete Ab-straktion eine zunehmende Auflösung erfährt, in dem nach und nach die ausdifferenzierten Erkenntnisse der Einzeldisziplinen angemessen in die Integrationsbemühungen einbezogen werden. Vester war sich dessen stets bewusst. So hat er hinsichtlich seiner „Biokybernetischen Grundregeln“ mehrfach betont, dass diese einer weiteren Verfeinerung und Konkretisierung, einer besseren theoretischen und empirischen Fundierung sowie möglicherweise einer mathematischen Formulierung bedürfen, um als wissenschaftlich im engeren Sinne gelten zu können. Zugleich forderte er die Wissenschaften direkt und indirekt dazu auf, sich dieses Problems anzunehmen.

Weitere Arbeits- und Lebensthemen von Vester

Generelle Umwelt- und Klimaproblematik: Seine frühe Deutung der Klimawandelproblematik als systemischer Problemzusammenhang mit zahlreichen Rückkopplungsschleifen und hoher Komplexität ist bis heute richtungsweisend. Im Kontext dieser systemischen Überlegungen widmete er etwa in seinem Hauptwerk „Neuland des Denkens“ dem Problem der Kohlenstoff-Verbrennung und der Notwendigkeit eines Perspektivenwechsels hinsichtlich des Umgangs mit dem „Baustein Kohlenstoff“ ein eigenes Kapitel. Durch die aktuelle Diskussion um den Klimawandel und potentieller Vermeidungsoptionen kommt diesem Ansatz Vesters insbesondere vor dem Hintergrund eines tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen „grünen Paradoxons“ eine wichtige Rolle in der Diskussion über alternative Verwertungsmöglichkeiten von fossilen Kohlenstoffvorräten zu; besteht darin doch ein möglicher Lösungsansatz zur Entschärfung der Ressourcen-Angebotsproblematik.

Energiewende: Vester war ebenso ein Pionier und Trommler in Sachen Energiewende. Als sehr weitsichtig erwies sich seine frühe Auseinandersetzung mit der staatlichen Energiepolitik sowie der Geschäftspolitik der großen Energiekonzerne. Unter dem Titel „Das Ei des Columbus“ analysierten er und sein Team die systemischen Folgewirkungen des großtechnologischen Ausbaus der Kernenergie und der Kohlekraft. Es folgten vertiefte energieökonomische und systemische Untersuchungen zu den Möglichkeiten einer „Evolution der Energiewirtschaft“, die heute im Zeichen der Energiewende wieder sehr aktuell sind.

Verkehrswende: Neben der Energie- war auch die Verkehrswende immer ein besonderes Anliegen von Vester. Wenn in diesem Zusammenhang von Solarhome-Ladestationen die Rede ist oder vernetzte Mobilitätskonzepte propagiert werden, kann dies bei den Mitarbeitern, Freunden und Kennern der Vester-Schriften allenfalls ein mildes Lächeln hervorrufen, da  genau dies bereits in seinen frühen Büchern zu lesen ist. Seine systemwissenschaftliche Verkehrsstudie „Ausfahrt Zukunft“ im Auftrag der FORD AG zeigte auf, dass die bisherige Verkehrs- und Siedlungspolitik zu großen Problemen und hohen Folgekosten führt. Hauptursache hierfür ist nach wie vor die Dominanz des Automobilverkehrs. Als Lösung empfiehlt er eine verkehrsreduzierende Politik und die sinnvolle Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger untereinander; diese Optionen lassen jedoch noch immer auf sich warten.

Bionik: Als Schlüsselwissenschaft für eine ökologisch verträgliche Gestaltung anthropogener Wertschöpfungsprozesse propagierte Vester die Bionik. Viele seiner Publikationen zeigen das enorme Potential auf, das in einer Orientierung an den Problemlösungen der Natur liegt. Immerhin hat sein Anliegen in den letzten Jahren eine breitere Unterstützung erfahren, indem etwa mit Unterstützung des BMBF ein Bionik-Kompetenznetzwerk verschiedener Forschungseinrichtungen aufgebaut wurde. Inzwischen befassen sich weltweit mehrere hundert Einrichtungen mit Themengebieten der Bionik. Im Sinne Vesters wäre zu wünschen, dass diese Aktivitäten untereinander noch eine stärkere Vernetzung erfahren; wichtige Schritte geht in diese Richtung die von Malik geförderte Bionik-Stiftung.

Biodiversität und die ökonomische Bewertung biosphärischer Leistungen: Mit seinen kybernetischen Fensterbüchern „Der Wert eines Vogels“ und „Ein Baum ist mehr als ein Baum“ machte Vester auf die Bedeutung der Vielfalt in Flora und Fauna sowie der vielfältigen Vernetzungen der Ökosysteme untereinander für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Biosphäre aufmerksam.

Regionale Stoffstromnetzwerke: Die Etablierung einer kleinräumigen Verbundwirtschaft zählte ebenso zu den Themengebieten Vesters. Durch die Nutzung von Symbiosen und Stoffstromverbünden in lokalen und regionalen Netzwerken und Recyclingprozessen soll es zur Realisierung einer Kreislaufwirtschaft kommen, indem Betriebe unterschiedlicher Branchen zusammenarbeiten. Inzwischen hat sich eine ganze Reihe solcher lokaler und regionaler Stoffstromnetzwerke etabliert.

Ökologische Landwirtschaft: Mit der „Systemstudie  Landwerkstätten“ wurden die Grundlagen zur Konzeption und Realisierung der „Hermannsdorfer Landwerkstätten“ geschaffen, die Karl Ludwig Schweisfurth daraufhin realisierte. Vester brachte seine systemischen Erkenntnisse über die Branche einem breiten Publikum durch das Fensterbilderbuch „Januskopf Landwirtschaft“ nahe. Im Kern ging es ihm dabei um die Machbarkeit einer ökologisch verträglichen Landwirtschaft und artgerechten Tierhaltung, unter Beachtung der natürlichen Kreisläufe und mit dem Ziel wieder echte „Lebensmittel“ im Wortsinne herzustellen. Dieses Anliegen ist angesichts der immer neuen Lebensmittelskandale auch heute noch sehr aktuell. Wenn mittlerweile in München und Umgebung zahlreiche Filialen der Herrmannsdorfer Landwerkstätten und die Basic-Supermärkte Fleischprodukte aus nachhaltiger Tierzucht anbieten, ist das nicht zuletzt auch Vesters Verdienst. Hat er doch, zusammen mit seinem Team, die konzeptionellen Vorarbeiten zu diesem erfolgreichen und zukunftsträchtigen Geschäftsmodell geliefert.

Lebensqualität: Seine Arbeit zum „Phänomen Stress“ (1976) hat im weitesten Sinne die Frage der ganzheitlichen Lebensqualität von Menschen und den Bedingungen und Voraussetzungen zu ihrer vollen Entfaltung, aber auch ihre Gefährdungen durch das moderne Wirtschafts- und Berufsleben zum Thema. Mittlerweile versucht die Nachhaltigkeitsforschung mittels alternativer Wohlstandsindikatoren eine realistischere Erfassung der tatsächlichen Lebensqualität und deren Abhängigkeit von gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen vorzunehmen, als dies mit der traditionellen Orientierung der Wohlstandsmessung an rein monetären Größen (z.B. Bruttosozialprodukt) möglich ist.

Vernetztes Lernen: Weite Verbreitung hat auch das Werk „Denken, Lernen, Vergessen“ gefunden, eine fundierte populärwissenschaftliche Einführung in die modernen Kognitionswissenschaften, insbesondere auch Kognitions- und Lernpsychologie. Es versteht sich von selbst, dass diese Thematik nach wie vor von hoher Aktualität ist. Dies zeigt sich u.a. auch daran, dass dieses Buch mittlerweile bereits in der 35. Auflage (dtv 2013) erscheint.

Weiterführung von Vesters Ideen, Ansätzen und Visionen

Mit Fredmund Malik, ebenfalls ein Pionier der Management-Kybernetik, fand sich ein Mitstreiter und langjähriger Kooperationspartner Vesters, der sich dazu verpflichtet sah das Lebenswerk Vesters zu bewahren, weiterzuentwickeln und zur Entfaltung zu bringen. Unter der Ägide von Gabriele Harrer, die bei Malik das Competence Center Vester leitet, findet dort seit 2006 eine Integration der Arbeiten Frederic Vesters in die Management- und Beratungsmethoden des MZSG statt. So werden nicht nur inhaltliche und methodische Erweiterungen erarbeitet, sondern auch bereits bewährte Tools wie das Sensitivitätsmodell Prof. Vester® um weitere Features bereichert sowie an die sich wandelnden Möglichkeiten der Software-Ergonomie angepasst (inzwischen als Malik Sensitivitätsmodell(R)Prof.Vester). Auch werrden laufend Systemstudien sowie Buch- und Multimediaprojekte durchgeführt; hervorzuheben ist insbesondere die Weiterentwicklung des kybernetischen Computerspiels ecopolicy®. Dieses liegt inzwischen als mehrsprachige Software, u.a. als chinesische Ausgabe vor und wird in Kürze als reines Online-Spiel im Internet verfügbar sein.

Die darauf basierende Ecopolicyade®, ein Wettbewerb zum Vernetzten Denken an Schulen, wird seit vielen Jahren durchgeführt, mit wachsenden Teilnehmerzahlen in Deutschland und Österreich, inzwischen über 200.000 Schüler; durch die Förderung von Malik international verbreitet wie in Australien und besonders Vietnam, wo 2013 bereits 50.000 Schüler erreicht wurden.

Mit „Rettet den Wald“ wurde 2012 von Malik in Zusammenarbeit mit dem EU-Projekt „Future Forest“ eine interaktive CD-ROM entwickelt. Dieses enthält ein Simulationsszenario, welches Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft spielerisch die Zusammenhänge von Klimawandel und Waldwirtschaft erleben lässt.

In den letzten Jahren wurde das ganzheitliche Instrumentarium des Malik Sensitivitätsmodells®Prof.Vester in großen Regionalprojekten eingesetzt, so 2011 für 52 Gemeinden im Schweizer Kanton Wallis zur Entwicklung eines Konzepts der Lebensfähigkeit. 2012 wurde mit der Stadt Potsdam im Rahmen eines Bürgerentscheids ein umfassendes Partizipationsprojekt durchgeführt. Weitere Anwendungen erfolgen laufend durch die zahlreichen Lizenznehmer des Verfahrens, darunter das Einsatzführungskommando der Deutschen Bundeswehr und das Umweltinstitut IVL Schweden.

Vermächtnis und Verpflichtung

Auch wenn bereits viele Ideen und Konzepte Vesters auf den Weg gebracht wurden, so gibt es noch zahlreiche weitere, die auf ihre Umsetzung warten. Sicherlich besteht bei einigen Themen auch noch Forschungsbedarf, so insbesondere zu den generellen Möglichkeiten, Bedingungen und Voraussetzungen einer ökologisch verträglichen Wirtschaftsweise sowie zu den Pfaden dorthin. 

Die Notwendigkeit zur fachübergreifenden Zusammenarbeit ist heute mindestens so wichtig und erforderlich wie vor 40 Jahren. Die Vernetzung von Themen, Forschungsrichtungen, Wissenschaftlern und Arbeitsgruppen in vielen Disziplinen bleibt immer noch weit hinter dem Notwendigen zurück. Gerade hier sollten wir uns immer wieder die transdisziplinäre und vernetzte Arbeitsweise von Vester zum Vorbild nehmen, dem es um die Betonung der Zusammenhänge und systemischen Wechselwirkungen ging. Trotz aller Bemühungen von Vester und seiner damaligen wie heutigen Mitstreiter herrscht in vielen Köpfen noch immer weitgehend lineares, technokratisches und unvernetztes Denken vor. Deshalb sind und bleiben Vesters Mahnungen, Anliegen, Themen und Anstöße auch weiterhin aktuell. Sein Beispiel und seine Vorarbeiten sollten uns Vermächtnis und Ansporn zugleich sein.

Als Fazit gilt auch heute unverändert, was schon einmal bei einer anderen Gelegenheit über Vester gesagt wurde: „Frederic Vester war seiner Zeit weit voraus; sein Genius sowie die Tragweite seines Schaffens und Wirkens werden sich uns erst in den nächsten Jahren und Jahrzehnten voll erschließen, wenn wir durch eine weitere Verschärfung der globalen (ökologischen) Probleme gezwungen werden, uns erneut und verstärkt mit seinen Ideen und Ansätzen auseinander zu setzen. Die Leuchtkraft seiner Visionen vermag uns auch noch auf dem Weg ins 21. Jahrhundert ein gutes Stück weit das Terrain zu erhellen.“

Prof. Dr. Thomas Göllinger, Konstanz und Freiburg, 2.11.2013

Tel. +49 089-535010
info@frederic-vester.de