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Frederic Vester als Vordenker und Wegbereiter der Ökologischen Ökonomie

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Anne Vester zum Artikel von Prof. Thomas Göllinger:
Anlässlich des 80. Geburtstags meines Mannes Frederic Vester am 23.11.2005 schickte mir Dr. Thomas Göllinger, Vorstand des Instituts für Ökologische Betriebswirtschaft an der Universität Siegen, einen von ihm verfassten Artikel, der mich sehr bewegt hat. Niemand zuvor hat in dieser umfassenden Weise seine fachliche Universalität, seine auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhenden Anregungen und Ideen auf den unterschiedlichsten Gebieten unserer Zivilisationsgesellschaft gewürdigt. Deshalb möchte ich diesen für mich sehr wertvollen Beitrag hier in voller Länge wiedergeben.

Frederic Vester als Vordenker und Wegbereiter der Ökologischen Ökonomie
Würdigung von Frederic Vester anlässlich seines 80. Geburtstags.
Von Dr. Thomas Göllinger, Vorstand des Instituts für ökologische Betriebswirtschaft (IöB) an der Universität Siegen.

Frederic Vesters Verdienste als "Vater des Vernetzten Denkens", wurden bei verschiedenen Gelegenheiten schon mehrfach gewürdigt. Im Vordergrund standen dabei zumeist seine Arbeiten zur ganzheitlichen und universellen Problemlösungsmethodik mittels der "Methodik des Vernetzten Denkens", insbesondere sein "Sensitivitätsmodell Prof. Vester®". Etwas kurz kamen hingegen häufig seine Verdienste um die "Ökologisierung des Wirtschaftens". Natürlich hängen beide großen Themenbereiche zusammen, bei Vester ist das eine nicht ohne das andere denkbar, trotzdem lassen sich beide Bereiche jeweils als eigene Schwerpunkte beleuchten. In diesem Beitrag sollen nun die Verdienste Frederic Vesters als Pionier der Ökologischen Ökonomie besonders betont werden.

Die Ökologische Ökonomie ist eine noch junge und im Werden begriffene Wissenschaft innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, die sich im weitesten Sinne mit der Ökologisierung des Wirtschaftens bzw. mit der Frage der Nachhaltigkeit beschäftigt. Zu diesem Themenkomplex hat Vester wichtige Beiträge geliefert, die im Lauf der Jahre mehr oder weniger intensiv von der Ökologischen Ökonomie aufgegriffen wurden. Im Zentrum seiner Aktivitäten standen bis zuletzt, neben seinen Arbeiten zum systemischen Denken, auch sehr stark ökologisch-ökonomische Fragestellungen. So waren seine letzten Arbeiten den Ursachen und Problemen des Klimawandels gewidmet (gerade posthum als CD-ROM mit dem Titel Zeitbombe Klimawandel veröffentlicht).

Frederic Vester muss zu den wichtigsten Pionieren der Ökologischen Ökonomie im deutschen Sprachraum gezählt werden. Kein anderer hat mehr Anregungen gegeben, mehr Ideen eingebracht und Entwicklungen in den unterschiedlichsten Bereichen angestoßen und zugleich immer wieder die Zusammenhänge zwischen all diesen Themenfeldern untereinander betont. Themen, die aktuell im Bereich der Ökologischen Ökonomie diskutiert werden, hat er vorausgedacht und in zahlreichen Publikationen und Vorträgen unermüdlich propagiert. Viele seiner teils schon vor mehr als 30 Jahren publizierten Ideen sind heute bereits Realität oder befinden sich in einer Phase des starken Wachstums, andere Entwicklungen stehen kurz vor dem Durchbruch oder werden aktuell wieder besonders diskutiert. Nur folgende Stichworte seien hier genannt: Sonnen- und Bioenergie, Energieeffizienz, ökologische Landwirtschaft, nachwachsende Rohstoffe, Bionik und Kreislaufwirtschaft.

Vester war Ideengeber, Anreger und Inspirator für zahlreiche Wissenschaftler, Manager, Unternehmer, Politiker, Lehrer und interessierte Laien. Besonders Wissenschaftler, die sich mit Themengebieten der Ökologischen Ökonomie beschäftigen, wurden von ihm inspiriert und beeinflusst. In der Hochphase der Ökologisierungswelle innerhalb der Wirtschafts- und Managementwissenschaften, um die Mitte der 1990er-Jahre, traf man auf einschlägigen wissenschaftlichen Tagungen, Kongressen und Symposien eine beträchtliche Zahl von Menschen, die sich auch mit seinen Arbeiten beschäftigt hatten oder dies zukünftig verstärkt tun wollten. In zahlreiche Forschungskonzeptionen und Lehrprogramme zur Ökologischen Ökonomie und ökologischen BWL flossen seine Arbeiten ein. Dies gilt auch für unsere Arbeit am Institut für ökologische Betriebswirtschaft an der Universität Siegen. So hat der Institutsgründer und damalige Leiter, Eberhard Seidel, in seiner programmatischen Schrift zur "Ökologisch orientierten Betriebswirtschaftslehre" ausdrücklich auch auf die Arbeiten Vesters Bezug genommen. Von den damaligen Mitarbeitern hatten sich einige mehr oder weniger ausgiebig mit den Schriften von Frederic Vester beschäftigt. Insofern war es naheliegend, dass seine Ideen und Ansätze eine nicht unbeträchtliche Rolle in Forschung und Lehre spielten.

Die Universalität Vesters dokumentiert auch sein beruflicher Werdegang. Studierter und diplomierter Chemiker, promovierter und habilitierter Biochemiker, Professor für Krebs-Forschung, selbstständiger Wissenschaftler und Berater, Professor für die "Interdependenz von technischem und sozialem Wandel" an der Bundeswehrhochschule München, Gastprofessor für Systemisches Management an der Universität St. Gallen sowie Mitglied des Club of Rome. Er war in zweifacher Hinsicht ein Grenzgänger: fachlich und beruflich. Fachlich wandelte er zwischen (interdisziplinär) und über (transdisziplinär) den Disziplinen. Beruflich war er sowohl Wissenschaftler und Berater als auch populärwissenschaftlicher Buch- und Film-Autor, der seine Themen einem breiten Publikum nahe bringen konnte. Das Erste bedingte das Zweite. Sein Verdienst ist es auch, Ideen, Gedanken und Vorarbeiten anderer aufgegriffen und in einen größeren Zusammenhang gestellt zu haben.

Gelegentlich wurde Vester wegen seiner populärwissenschaftlichen und interdisziplinären Arbeiten aber auch kritisiert. Manche wollten ihm gar die Wissenschaftlichkeit generell absprechen. Aber gerade die Entwicklung einer integrierenden Sichtweise, der es auf den (systemischen) Zusammenhang der Dinge und nicht so sehr auf den (isolierten) Einzelaspekt ankommt, kann dabei nicht alle Verästelungen und Differenzierungsversuche aller Einzeldisziplinen berücksichtigen. Bei der damals wie heute üblichen Organisation der Wissenschaften, gab und gibt es leider nur wenig Spielraum für echtes fachübergreifendes Arbeiten. Schon immer wurden die Bemühungen um eine erweiterte Sichtweise in erster Linie von einem nichtwissenschaftlichen Publikum bzw. von Wissenschaftlern, die um die Begrenzung einer disziplinären Sichtweise wissen, goutiert. Um so mehr sind deshalb Vesters Bemühungen um eine ganzheitliche Perspektive anzuerkennen.

Dies schließt nicht aus, dass die zunächst einer ganzheitlichen Sichtweise geschuldete Abstraktion eine zunehmende Auflösung erfährt, in dem nach und nach die ausdifferenzierten Erkenntnisse der Einzeldisziplinen angemessen in die Integrationsbemühungen einbezogen werden. Vester war sich dessen stets bewusst. So hat er hinsichtlich seiner "8 biokybernetischen Grundregeln" mehrfach betont, dass diese einer weiteren Verfeinerung und Konkretisierung, einer besseren theoretischen und empirischen Fundierung sowie möglicherweise einer mathematischen Formulierung bedürfen, um als wissenschaftlich im engeren Sinne gelten zu können. Zugleich forderte er die Wissenschaften direkt und indirekt dazu auf, sich dieses Problems anzunehmen.

Aufgrund seiner disziplinenübergreifenden Sichtweise war er in der Lage, schon sehr früh die Mängel und Unzulänglichkeiten der herkömmlichen Ressortforschung im Allgemeinen und der Umweltforschung sowie der ressort- bzw. umweltmedienbezogenen Umweltpolitik im Besonderen aufzuzeigen. Nicht zuletzt diese Unzufriedenheit mit der unvernetzten Arbeitsweise der etablierten Forschung war der Auslöser für die Gründung seines privaten Forschungs- und Beratungsinstituts, der Studiengruppe für Biologie und Umwelt (sbu) in München. Mit seinem Team bei der Studiengruppe hat er zahlreiche Forschungsarbeiten durchgeführt, die direkt oder indirekt zum Themenkreis der Ökologischen Ökonomie zählen.

Von Vester befruchtete Themenfelder der Ökologischen Ökonomie

Generelle Umwelt- und Klimaproblematik:
Durch seine Fähigkeit, die Dinge sowohl in ihrer prinzipiellen Dimension als auch in ihrem größeren Zusammenhang zu sehen, hat Vester auch früh die Klimaproblematik als Folge der zunehmenden Emission von Treibhausgasen, u.a. aufgrund der Verbrennung fossiler Energieträger, erkannt. Zu einem Zeitpunkt, zu dem das Thema "Waldsterben" als Folge der Versauerung von Böden und Gewässern gerade erst aufkam, und in der Folgezeit die Umweltdiskussion sich viel zu lange auf die Entstickung und Entschwefelung von Kraftwerken, Industrieanlagen, Feuerungen und Kraftfahrzeugen konzentrierte, hat er schon viel weiter gedacht und die oberflächliche Diskussion über den jeweils aktuellen Schadstoff um eine grundsätzlichere Betrachtung bereichert. Das Problem der vermehrten und massiven Kohlendioxidfreisetzung hat er bereits 1980 in Neuland des Denkens als einen gefährlichen Eingriff in natürliche Stoffkreisläufe und Regelkreise gedeutet. Daher erstaunt es einen immer wieder, wenn heute noch manche Politiker und Manager behaupten, erst seit 10-15 Jahren von der Notwendigkeit zur Reduktion des Kohlendioxidausstoßes zu wissen. Korrespondierend dazu muss dann Vesters Feststellung gesehen werden, dass Kohlenstoff ein universeller Baustein ist, der zur Verbrennung viel zu wertvoll ist und dabei weitgehend ungenutzt verpufft, obwohl er doch ein idealer Baustein zur Veredelung in der Chemieindustrie wäre.

Bionik und Bionische Gebäude:
Ein besonders interessantes und innovationsträchtiges Gebiet der Ökologischen Ökonomie ist die seit langem von Vester als Schlüsselwissenschaft für eine ökologisch verträgliche Gestaltung anthropogener Wertschöpfungsprozesse propagierte Bionik. An Hand zahlreicher Beispiele zeigen viele seiner Publikationen immer wieder das gewaltige Potential auf, das in einer Orientierung an den Problemlösungen der Natur liegt. Dabei hat sein Anliegen in den letzten Jahren eine breite Unterstützung erfahren. Seit 2001 unterstützt das bmbf ein Bionik-Kompetenznetzwerk verschiedener Universitäten. Die Initiative zu diesem Netzwerk ging von Vesters früherer Wirkungsstätte, der Universität Saarbrücken, aus. Zu den Aufgaben dieses Netzwerkes gehört insbesondere die Weiterentwicklung der ökologischen Kompetenz der Bionik, eine weitere programmatische Systematisierung, die Unterstützung der Industrie durch Beratung sowie generell die Verbreitung des Wissens über Bionik. Für die Ökologische Ökonomie und die Nachhaltigkeitsdiskussion spielt die Bionik besonders im Zusammenhang mit der Konsistenz-Strategie eine wichtige Rolle. Aber auch im betriebswirtschaftlichen Innovationsmanagement findet die Bionik als Methode zur Generierung neuen technologischen Wissens zunehmend Beachtung. Inzwischen gibt es einige Unternehmen, die sich verstärkt mit der Entwicklung bionischer Produkte und Problemlösungen beschäftigen. Weltweit befassen sich in den Forschungseinrichtungen der Hochschulen und der Industrie einige Tausend Menschen in über 200 Einrichtungen mit Bionik. Allerdings sind diese Aktivitäten untereinander noch kaum vernetzt.

Gerade auch auf dem Gebiet der Baubionik, von Vester häufig als zukunftsträchtige konkrete Anwendung der Bionik herausgestellt, finden derzeit sehr spannende Diskussionen und Forschungsaktivitäten statt. So hat ebenfalls das bmbf eine Forschungsinitiative zur Erforschung bionischer Lösungen bei der Gestaltung ökologisch verträglicher Gebäudekonzepte unter dem Namen "Das bionische Haus" initiiert.

Energiewende durch Solar- und Bioenergie:
Mit am weitesten sind inzwischen wohl die Bemühungen zu einer Umorientierung der Energiewirtschaft vorangeschritten. "Auf Zukunft umgepolt" hätte der populäre Titel einer Studie von Vester zur Regenerativen Energiewirtschaft lauten können. Unermüdlich hat er die Notwendigkeit einer Energiewende betont, weg von den Fossil- und Atomenergien hin zu den Solar- und Bioenergien und der Erschließung von Effizienzpotentialen. Wichtig war und ist dabei seine Argumentation, dass der prinzipielle ökologische Vorteil der regenerativen Energien gerade auch in ihrer geringen Energiedichte und in ihrer Vielfalt liegt; Vorteile die von den Gegnern dieser Energieformen fälschlicherweise auch heute noch als prinzipielle Nachteile gedeutet werden. Als sehr weitsichtig erwies sich seine frühe Auseinandersetzung mit der etablierten, auf den großtechnologischen Ausbau der Kernenergie und der Kohlekraftwerke fixierten, staatlichen Energiepolitik sowie der Geschäftspolitik der großen Energiekonzerne in den 1970er-Jahren unter dem Titel Das Ei des Kolumbus. Hervorzuheben sind auch seine vertieften energieökonomischen und systemischen Untersuchungen zu den Möglichkeiten einer "Evolution der Energiewirtschaft". Im Zentrum dieser Studie steht die Möglichkeit, Energieeinspar- bzw. Effizienzpotentiale als eigene Ressource zu betrachten. Im Prinzip ging es dabei um das "Least-Cost-Planning" und die später durch Amory Lovins propagierte "Negawatt-Philosophie". Ebenso richtungsweisend sind seine Hinweise auf die Fehlanpassung der Struktur des Energieangebots (überwiegend hochwertige Energieträger) an die Struktur der Energienachfrage (überwiegend geringwerter Bedarf), woraus schon allein eine gewaltige Verschwendung wertvoller Energieressourcen resultiert.

Verkehrswende:
Auch die Verkehrswende war immer ein besonderes Anliegen von Vester. Aber gerade in diesem Bereich dürfte sich am wenigsten getan haben. Hauptursache hierfür ist nach wie vor die Dominanz des Automobilverkehrs. Nahezu alle (bisher bescheidenen) Fortschritte bei der Weiterentwicklung treibstoffsparender Motor- und Fahrzeugkonzepte wurden durch die Zunahme der Verkehrsleistung und des Kaufs immer leistungsstärkerer, größerer und schwergewichtigerer Autos mindestens wieder kompensiert. Viele Verkehrspolitiker, Verbandsfunktionäre und journalistische Beobachter zeigen sich angesichts dieses Rebound-Effektes erstaunt. Ein Blick in Vesters systemwissenschaftliche Verkehrsstudie Ausfahrt Zukunft, oder auch in seine populärwissenschaftliche Variante Crashtest Mobilität, würde offenbaren, dass diese Rückwirkungen sich als unvermeidliche Folgen der bisherigen und derzeitigen Verkehrs- und Siedlungspolitik ergeben. Eine verkehrsreduzierende Politik und die sinnvolle Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger untereinander lassen immer noch auf sich warten.

Biodiversität und die ökonomische Bewertung biosphärischer Leistungen:
Eine weitere Fragestellung der Ökologischen Ökonomie betrifft die Bedeutung der Vielfalt in Flora und Fauna sowie die vielfältigen Vernetzungen der Ökosysteme untereinander für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Biosphäre und als Ressourcenlieferant für das ökonomische System. Diese Arbeiten sind des weiteren verknüpft mit der Suche nach geeigneten Bewertungsmaßstäben für die ökonomische (monetäre) Bewertung dieser Leistungen. Es war Vester, der mit seinen Publikationen Der Wert eines Vogels und Ein Baum ist mehr als ein Baum schon vor vielen Jahren auf genau diese Problematik aufmerksam gemacht hat sowie wertvolle Vorarbeiten und Anregungen lieferte.

Regionale Stoffstromnetzwerke:
Als weiteres Themengebiet Vesters ist die kleinräumige Verbundwirtschaft auszumachen. Hier geht es um die Nutzung von Symbiosen und Stoffstromverbünden in lokalen und regionalen Netzwerken und Recyclingprozessen zur Realisierung einer Kreislaufwirtschaft, u.a. auch durch die Zusammenarbeit von Betrieben unterschiedlicher Branchen. Inzwischen hat sich eine ganze Reihe solcher lokaler und regionaler Stoffstromnetzwerke etabliert. Das älteste Beispiel ist wohl der lokale Produktionsverbund im dänischen Kalundborg. Aufgrund einschlägiger Forschungsarbeiten an der Universität Graz wurden mehrere, durch Selbstorganisation entstandene, große Stoffstromnetzwerke in der Steiermark aufgedeckt. Zugleich brachte die empirische Erforschung dieser realen Netzwerke neue Erkenntnisse über ihre Funktionsweise, die spezifischen Vor- und Nachteile sowie die Bedingungen und Voraussetzungen ihrer Entstehung und ihres Erhalts. Mit diesen Erkenntnissen konnten neue Initiativen zur Etablierung von Stoffstromnetzwerken angestoßen werden. So ist z.B. das Projekt eines lokalen Netzwerkes im Heidelberger Gewerbegebiet Pfaffengrund auf eine solche (wissenschaftliche) Initiative, angeregt durch Arbeiten an der Universität Heidelberg, zurückzuführen. Ebenfalls auf Vesters Idee des Produktionsverbundes beruhen die Aktivitäten der "Zero Emissions Research and Initiatives" (ZERI), einer ursprünglich an der Universität der Vereinten Nationen in Tokio beheimateten, inzwischen weltweit tätigen, Initiative. Dort arbeitet man an Konzepten für einen Verbund bzw. eine Kaskade unterschiedlichster (Kuppel)-Produktionen, z.B. Brauerei und Fischproduktion.

Ökologische Landwirtschaft:
Eine unmittelbare Würdigung und Umsetzung seiner Arbeiten erfuhr Vester in einzelnen Projekten zur ökologischen Landwirtschaft. Aufbauend auf seiner "Systemstudie Landwerkstätten", die er im Auftrag des ehemaligen Fleisch- und Wurstwarenfabrikanten und heutigen Öko-Landwirts Karl Ludwig Schweisfurth erarbeitete und deren Erkenntnisse diesen bei der Konzeption und Realisierung seiner Hermannsdorfer Landwerkstätten leiteten, brachte Vester seine Untersuchungen einem breiten Publikum durch das Fensterbilderbuch Januskopf Landwirtschaft nahe. Andere wurden dadurch zu ähnlichen Projekten inspiriert. Die Ökologisierung der Land- und Ernährungswirtschaft ist nicht nur für die Agrarwissenschaften ein Thema, sondern auch die Ökologische Ökonomie. In verschiedenen Projekten wird sowohl über die ordnungspolitischen und institutionellen Voraussetzungen einer ökologisch verträglichen Landwirtschaft als auch über konkrete Strategien für ökologisch orientierte Unternehmen im Lebensmittelmarkt geforscht, z.B. an den Universitäten St. Gallen und Oldenburg. Der Kern von Vesters Aussagen zur Notwendigkeit und Machbarkeit einer ökologisch verträglichen Landwirtschaft und artgerechten Tierhaltung, unter Beachtung der natürlichen Kreisläufe und mit dem Ziel, wieder echte "Lebensmittel" im Wortsinne herzustellen, ist angesichts der immer neuen Lebensmittelskandale auch heute noch sehr aktuell.

Weitere Themen:
Auch die Arbeiten und Bücher Vesters, die man auf den ersten Blick nicht mit der ökologischen Problematik verbindet, behandeln weitgehend Themen, die heute auch im weiteren Themenfeld der Ökologischen Ökonomie auszumachen sind. So hat Phänomen Stress (1976) im weitesten Sinne die Frage der (ganzheitlichen) Lebensqualität von Menschen und den Bedingungen und Voraussetzungen zu ihrer vollen Entfaltung, aber auch ihre Gefährdungen durch das moderne Wirtschafts- und Berufsleben zum Thema. Genau dies ist auch eine Fragestellung der Ökologischen Ökonomie, wo im Rahmen der Nachhaltigkeitsdiskussion versucht wird, mittels alternativer Wohlstandsindikatoren (z.B. Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW)) eine realistischere Erfassung der tatsächlichen Lebensqualität und deren Abhängigkeit von gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen vorzunehmen, als dies mit der traditionellen Orientierung der Wohlstandsmessung an rein monetären Größen (z.B. Bruttosozialprodukt) möglich ist.
Weite Verbreitung hat auch das Werk Denken, Lernen, Vergessen gefunden, eine fundierte populärwissenschaftliche Einführung in die modernen Kognitionswissenschaften, insbesondere auch Kognitions- und Lernpsychologie. Auch diese Richtung spielt für die Ökologische Ökonomie, speziell für die Evolutorische Ökologische Ökonomie (EÖÖ), eine immer größer werdende Rolle, etwa bei der Modellierung menschlichen Verhaltens sowie der Lern- und Entwicklungsfähigkeit angesichts der Herausforderung durch komplexe Problemstellungen im Zusammenspiel von ökonomischem System und Biosphäre. Dort versucht man sich z.B. an der Modellierung beschränkt rationalen Verhaltens und adaptiver Lernvorgänge mittels genetischer Algorithmen, z.B. bei der Ressourcennutzung oder bei Entscheidungen in der Klimaschutzpolitik.

Verpflichtung zur Weiterführung von Vesters Ideen, Ansätzen und Visionen

Vieles von dem, was Frederic Vester vorgedacht hat, wurde bereits auf den Weg gebracht, gleichzeitig liegen noch eben so viele Aufgaben vor uns. Das von den verschiedensten Wissenschaften Geleistete gilt es auszubauen und weiter umzusetzen. Nach wie vor besteht jedoch ein großer Bedarf an weiterer Grundlagenforschung, sowohl zu den generellen Möglichkeiten, Bedingungen und Voraussetzungen einer ökologisch verträglichen Wirtschaftsweise als auch zu der Frage der Umsetzung in einzelnen Themenfeldern. Insbesondere Vesters biokybernetischer Ansatz, mit den "8 Grundregeln der Biokybernetik", ist eine tragfähige Grundlage zu einer transdisziplinären "Theorie lebender Systeme".

In nahezu allen für das Thema relevanten Disziplinen herrscht noch immer weitgehend lineares, technokratisches und unvernetztes Denken vor. Technologisch werden vielfach die Trends der Vergangenheit linear in die Zukunft extrapoliert und so scheitert all zu häufig die Kreation neuer (und nachhaltiger) Zukunftspfade an der mangelnden Wahrnehmung des Zusammenhangs der einzelnen Entwicklungen untereinander. Deshalb sind und bleiben Vesters Mahnungen, Anliegen, Themen und Anstöße auch weiterhin aktuell.

Auch an der Notwendigkeit zur fachübergreifenden Zusammenarbeit hat sich wenig geändert, diese ist heute mindestens so wichtig und erforderlich wie vor 30 Jahren. Die Vernetzung der Themen, Forschungsrichtungen, Wissenschaftler und Arbeitsgruppen jener Disziplinen, die im weitesten Sinne zur Ökologischen Ökonomie zu zählen sind, bleibt immer noch weit hinter dem eigenen Anspruch der Ökologischen Ökonomie, die eine transdisziplinäre Wissenschaft sein möchte, zurück. Gerade hier sollten wir uns immer wieder die transdisziplinäre und vernetzte Arbeitsweise von Vester, dem es um die Betonung der Zusammenhänge und systemischen Wechselwirkungen ging, zum Vorbild nehmen.

Frederic Vester war seiner Zeit weit voraus; sein Genius sowie die Tragweite seines Schaffens und Wirkens werden sich uns erst in den nächsten Jahren und Jahrzehnten voll erschließen, wenn wir durch eine weitere Verschärfung der globalen (ökologischen) Probleme gezwungen werden, uns erneut und verstärkt mit seinen Ideen und Ansätzen auseinander zu setzen. Die Leuchtkraft seiner Visionen vermag uns auch noch auf dem Weg ins 21. Jahrhundert ein gutes Stück weit das Terrain zu erhellen.

Von Dr. Thomas Göllinger, Vorstand des Instituts für ökologische Betriebswirtschaft (IöB) an der Universität Siegen.

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